Am 14.Mai ist es soweit: Wir stehen mal wieder vor einer Grenze. „Welcome to Uzbekistan“ werden wir von einem Soldaten freundlich begrüßt. Anders als wir von anderen Reisenden gehört haben sind alle Grenzbeamten sehr freundlich und hilfsbereit wie z.B. beim Ausfüllen des Deklarationszettels, was einige Zeit in Anspruch nimmt. Auch müssen wir nicht sämtliche Taschen auspacken sondern nur zum Durchleuchten auf das Förderband legen. Nach der zwei stündigen Grenzprozedur kann die Fahrt endlich weiter gehen.
Am 15. Mai erreichen wir Buchara. Nachdem eine anstrengende Etappe hinter uns liegt (Turkmenistan: 550km in 5 Tagen, teilweise Radfahren bei 47,5°C) freuen wir uns hier ein paar Tage regenerieren zu können. Wie sich herausstellt der perfekte Ort für eine Pause. Wir kommen im Sarrafon Guesthouse unter. Das Guesthouse ist in einer kleinen Seitengasse direkt in der Altstadt gelegen. Die Besitzer sind sehr freundlich und hilfsbereit – wir fühlen uns super wohl und genießen es besonders in dem ruhigen, gemütlichen Innenhof zu entspannen. Überhaupt ist die ganze Stadt trotz Tourismus und teilweise bunten Treibens eher ruhig und fast ein wenig verschlafen. Über den Bazar schlendernd gibt es genug Möglichkeiten mit den Verkäufern und Handwerkern ins Gespräch zu kommen ohne am Ende zum Kauf gedrängt zu werden. Wir sind eigentlich nicht so die Stadtmenschen, in Buchara haben wir uns aber fast ein bisschen verliebt.
Da wir uns in Buchara Zeit genommen haben, orientalischen Flair zu schnuppern entscheiden wir uns gegen den Umweg über Samarkand ä. Wahrscheinlich sind wir da eine Ausnahme unter den Usbekistanreisenden und womöglich stoßen wir bei dem Ein oder Anderen auf pures Unverständnis. „Das muss man doch gesehen haben“….Tim und ich sind mit unserem Entschluss aber sehr zufrieden und genießen die Aussicht auf 10 Tage gemütliches Reisen und genug Zeit jeder Begegnung jenseits des Tourismus nachgehen zu können.
Die Usbeken sind unglaublich nette, fröhliche, hilfsbereite und gastfreundliche Leute. Bei all ihrem Interesse an Touristen waren sie trotzdem eine gewisse Distanz und lassen einem genügend Freiraum. Eine perfekte Mischung.
In Usbekistan wird viel Radgefahren. Das ist wahrscheinlich der Grund weshalb unsere Bambusräder hier ganz besondere Aufmerksamkeit genießen. Sobald wir irgendwo Halt machen dauert es nicht lange bis das Rad mehreren prüfenden Blicken unterworfen wird. Jeder beklopft den Rahmen, drückt an den Reifen herum und bestaunt die Rohloff Gangschaltung. Dann folgt meist ein Fachsimpeln unter den umstehenden Leuten welches wir leider nicht verstehen können. Aber wir sehen das ihnen unsere Räder besonders gut gefallen. Natürlich wollen fast alle den Preis dafür wissen. Zum Glück können wir ihnen erklären das wir gesponsort sind und den Preis nicht wissen. Der vermutliche Preis wäre sicher deutlich ausserhalb jeden Verständnisses. Ein anderer Radler sagte mal das sein Rad 700 Dollar kosten würde – sehr doll untertrieben. Da gab es ein grosses Hallo! Ein gut erhaltener Lada soll wohl um die 300 Dollar kosten – wie kann dann ein Rad ein vielfaches davon kosten?
Selbstverständlich werden auch die Handys gezückt um ein oder doch besser gleich mehrere Fotos von den Rädern zu schießen. Hier und da haben wir auch den Wunsch erfüllen können eine Proberunde auf dem bepacktem Fahrrad zu drehen. Wenn dann manch einer versucht wie gewöhnlich mit einem Fuß auf der Pedale Anschwung zu nehmen um dann das andere Bein über den Sattel zu schwingen und im nächsten Moment bedenklich anfängt zu schwanken merkt man doch das man leicht angespannt ist. Es ist aber zum Glück immer alles gut gegangen und jeder ist mit einem breitem Grinsen im Gesicht vom Rad gestiegen.
Als wir am 22. Mai kurz vor Guzor bei einem kleinen Minimarkt halten um uns mit kühlen Getränken zu erfrischen, werden wir von Tolik angesprochen. Bisher haben wir, bis auf in Buchara, niemanden getroffen der englisch spricht. Daher freuen wir uns um so mehr in Tolik einen super netten jungen Mann kennen zu lernen der gut englisch sprechen kann. Inzwischen hat sich mal wieder eine Traube um uns gebildet und Tolik hat alle Hände voll zu tun, für alle zu übersetzten. Es ist früher Nachmittag und es scheint gerade Schulschluss zu sein. Neben den Erwachsenen, die sich bereits um uns versammelt haben, kommen jetzt noch viele neugierige Kinder dazu. Im Gegensatz zu den Erwachsenen brauchen diese aber keinen Dolmetscher. Drei Worte auf englisch und ansonsten Zeichensprache tun es auch. Nach einer Stunde fröhlichem Beisammenseins erhalten wir eine überraschende Einladung: Abbos lädt uns ein den Nachmittag und die Nacht im Haus seiner Familie zu verbringen.
Die Einladung nehmen wir sehr gerne an und so werden wir wenige Minuten später bei Familie Aka herzlich willkommen geheißen. Abbos lebt hier zusammen mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn, seinen Eltern und seinen Geschwistern. Für uns wird der Tisch bzw. die Decke auf dem Boden mal wieder reich gedeckt. Wasser, Tee, Cola und verschiedenstes Gebäck und Nüsse. Vor dem Abendessen werden wir zu einer kleinen „Stadtrundfahrt“ im Kleinbus des Vaters eingeladen. Die ganze Familie ist natürlich mit dabei.
Als wir zurück sind geht es daran das Abendessen zuzubereiten. Es gibt das Nationalgericht „Plov“. Tim und mir wird Schritt für Schritt gezeigt wie genau Plov gemacht wird. Wie es scheint ist die ganze Familie involviert. Die Frauen haben die Vorbereitungen erledigt und Zutat für Zutat wird dem Vater gebracht, der am selbst gebastelten Ofen (eine alte Tonne wurde umfunktioniert) steht und diese nun verarbeitet. Komisch, sobald offenes Feuer oder Glut in Sicht ist fühlt sich „der Mann“ berufen zu kochen. Aus sämtlichen Vorbereitungen und dem Abwasch hält er sich schön raus. Das scheint wohl fast auf der ganzen Welt gleich zu sein…
Ein Sohn ist damit beschäftigt, Äste in die richtige Größe zu brechen und das Feuer in Gang zuhalten und auch der kleine 2 Jahre alte Enkel ist dabei und schaut sich wahrscheinlich schon das ein oder andere ab. Wir verbringen einen wunderschönen Tag mit Familie Aka und sind mal wieder von der Herzlichkeit und Gastfreundschaft gerührt, die uns als Fremden geschenkt wird. Abbos Schwester heiratet in einer Woche und es wird alles versucht uns dazu zu bewegen, bis dahin dazubleiben um dann bei der Hochzeit dabei sein zu können. Wie gerne hätten wir auch diese Einladung angenommen! Abbos Schwester nimmt mich mit in ihr Zimmer welches bereits mit Geschenken (Mitgift) ihrer Eltern zugebaut ist. Dort zeigt sie mir ihr traditionelles Kleid, welches sie an ihrer Hochzeit tragen wird. Ich soll es unbedingt überziehen. So verwandle ich mich für einige Minuten in „Uzbek Karrrina“ und sorge für ein großes Gegacker. Jeder will mal die „Uzbek Karrrina“ sehen. Wir haben Familie Aka sehr ins Herz geschlossen. Hoffentlich können wir uns einmal wieder sehen.
Ich glaub irgendwann hab ich das schon mal erwähnt: Cola ist für Radreisende wie Benzin fürs Auto. Je heißer es ist oder je anstrengender die Etappe desto größer wird der Wunsch nach einer kalten Cola. Inzwischen sind wir was das Erkennen von kleinen Läden angeht geübt. Wenn irgendwo im Nirwana eine Gefriertruhe rumsteht oder ein Tisch mit ein paar Getränkeflaschen drauf stehend erspäht wird ist das ein gutes Zeichen. Ebenso ein Haus oder eine kleine Holzhütte wo die Tür oder ein Fenster aufsteht und davor ein paar Flaschen stehen sind ein gerade zu sicheres Zeichen an ein Getränk zukommen. Für eine Cola braucht man dann noch etwas Glück und für eine kaltes Getränk noch etwas mehr Glück. Als wir heute bei einem dieser kleinen Läden einkehren kommen wir mit den Ladenbesitzern ins Gespräch. Naja, Gespräch ist übertrieben aber irgendwie Verständigen wir uns mit Händen und Füßen, schauen gemeinsam unsere Fotos an und verbringen eine gemütliche Pause in dem kleinen Laden. Zum Abschied bekomme ich von der Frau als Erinnerung an sie und an Usbekistan ein farbenfrohes Kopftuch geschenkt. Wow! Wieder eine kleine aber doch so besondere Begegnung. Das Kopftuch trage ich jetzt immer als Sonnenschutz und stoße damit ständig auf große Freude und werde oft daraufhin angesprochen. Inzwischen hab ich festgestellt das es nicht einfach irgend ein Kopftuch ist, sondern ein usbekisches (oder auch tadschikisches) Kopftuch, welches die Frauen hier typischerweise tragen.
Eines der schlimmsten Dinge die einem beim Zelten passieren können: Magendarminfekt. Leider hat es mich erwischt. Die halbe Nacht verbringe ich vor dem Zelt. Es ist kalt und alles unglaublich anstrengend und nervig. Am nächsten Morgen bin ich ziemlich gerädert ohne überhaupt auf dem Rad gesessen zuhaben. Am spätem Vormittag brechen wir trotzdem auf. Mein Magen und Darm haben sich zwar beruhigt trotzdem fühle ich mich sehr schwach. Boyson unser Ziel für heute liegt nur 35km entfernt. Trotzdem wird es für mich eine der anstrengsten Etappen. Wie sich rausstellt ist heute unser absoluter Pechtag. Die bereits über viele Kilometer anhaltend katastrophalen Straßenverhälnisse haben Tims Rad zugesetzt. 12Km vor Boyson rutscht das Tretlager aus dem Rahmen. Der Versuch, das ganze mit einem Stein wieder zurück zu hämmern gelingt zwar, nach 500 Metern Fahrt ist das Tretlager aber wieder draußen. Also heißt es das erste Mal Hitchhiken. Ein LKW-Fahrer lässt Tim sein Rad einladen meint dann aber, als wir uns daran machen mein Rad einzuladen, er sei kein Taxi und ich könne nicht mit fahren. Die Ladefläche ist leer und uns ist das alles absolut unverständlich. Der Fahrer ist nicht dazu zu bewegen mich mitzunehmen und so fahre ich das erste Mal auf dieser Reise ein paar Kilometer allein. Heute kommt einfach alles zusammen… Tim berichtet später das der Fahrer ihn nach zehn Minuten Fahrt verwundert fragt was mit mir sei und warum ich nicht mitgekommen sei? Hä??? Manchmal versteht man die Welt nicht mehr. Zum Glück hält nach einiger Zeit ein Kleinbus vor mir ohne das ich gewunken oder sonst irgend ein Zeichen gegeben hätte. Der Fahrer bietet mir an mich mit zunehmen. Es ist kein Tag an dem ich lange überlege muss und so sitze ich wenig später samt Fahrrad in dem Kleinbus und werde bis Boyson mitgenommen wo Tim bereits an der Straße auf mich wartet. Der Fahrer schaut sich das Problemchen an Tims Rad an und ist nicht davon abzuhalten den Versuch zu starten es zu reparieren. So läuft er zum nächsten Haus, ist einige Zeit verschwunden und kommt dann etwas später mit ein paar Schweißdrähten zurück. Wieder wird das Tretlager zurück gehämmert und dann mit den Drähten fixiert. Der Fahrer freut sich uns vermeintlich geholfen zu haben und fährt davon. Wir freuen uns über die Hilfsbereitschaft und die Zeit die uns einfach so geschenkt wird, haben aber keine große Hoffnung das die Drahtkonstruktion lange halten wird. Anstatt für nur 500 Metern hält das Tretlager für 2 Kilometer Fahrt bevor es wieder rausrutscht. Genug für uns um bei einem Guesthouse anzukommen.
Die Zusammenarbeit mit unserem Sponsor myBoo läuft hervorragend. Die Jungs sind sofort zu erreichen und stehen uns mit Rat und Tat zur Seite. Am nächsten Tag bekommen wir auch noch viele hilfreich Tips von Sven vom Fahrrad Center Harburg und wissen nun was zu tun ist. Unsere anfänglichen schlimmsten Befürchtungen sind verflogen und wir sind guten Mutes alles wieder repariert zu bekommen.
Boyson ist ein kleines, verschlafenes Städtchen und wir erwarten nicht die benötigten Gegenstände ( zwei Komponentenkleber und einen Kurbelabzieher)die wir für die Reparatur benötigen hier zu bekommen. Wir planen also damit uns per Taxi zur Tadschikischen Grenze bringen zu lassen und von dort irgendwie nach Dushanbe zukommen. Wenn man irgendwelchen exotischen Dinge benötigt dann sollten sie wohl in einer Hauptstadt zu finden sein. Aber es kommt alles anders. Wir haben bei unseren Überlegungen sowohl Boyson als auch die hilfsbereiten und kreativen Usbeken unterschätzt.
m Internetcafe lernen wir Jasur, den Inhaber des kleinen Cafes kennen und werden von ihm zum Abendessen eingeladen. Jasur und seine Frau Guli sind sehr herzlich und wir fühlen uns sofort super wohl bei ihnen. Das fällt auch gar nicht schwer wenn man mit den Worten „my house is your house“ begrüßt wird. Jasur bietet uns sofort an uns mit dem Fahrrad zu helfen. Sein Freund ist Mechaniker und er ist überzeugt das es kein Problem gäbe und wir alles regeln könnten. Am nächsten Tag treffen wir uns mit Jasur und seinem Freund Shavkat. Die beiden investieren den halben Tag für uns und wir staunen nicht schlecht was in dem kleinem Boyson möglich ist. Als erstes geht es zum Werkzeug Bazar wo wir recht schnell den gesuchten Spezialkleber so wie einen passenden Maulschlüssel finden. Die Stahlbürste die wir benötigen um das Tretlager und dessen Fassung vor dem Kleben zu reinigen ist uns viel zu groß und schwer, aber Shavkat hat schon eine Lösung. Er ist kurze Zeit weg und kommt dann mit einer kleinen, leichten Stahlbürste wieder mit der man eigentlich einen Teppich bürstet. Der Kurbelabzieher ist wie zu erwarten war nicht aufzutreiben. Ein Problem? Nicht in Usbekistan. Das Fahrrad wird in den Kofferraum von Shavkata alten Lada geladen und es geht in die Werkstatt eines Metallschlossers mit einer CNC-Fräse. Der Schlosser und unser Mechanikerfreund schauen sich das Gewinde und den von uns mitgebrachten Ausdruck eines Kurbelabziehers an. Nach einer kurzen Beratschlagung der Beiden macht sich der Schlosser an die Arbeit. Wir staunen nicht schlecht wie er aus einem Stück Metall nach 20 Minuten Arbeit unser Werkzeug fertig gestellt hat. Das Werkzeug wird natürlich direkt vor Ort getestet. Es funktioniert!Wir sind begeistert und super glücklich. Nachdem wir den Schlosser für seine tolle Arbeit bezahlen dürfen (er möchte tatsächlich nur umgerechnet 2€ haben) geht es zu dem Haus von Shavkat. Bevor es an die Reparatur geht bekommen wir ein leckeres Mittagessen. Dann machen sich Tim und Shavkat an die Arbeit. Nach einer Stunde Gebastel sitzt das Tretlager wieder an Ort und Stelle und ist mit soviel Kleber fixiert das wir sicher sind das es den kommenden Herausforderungen erstmal Stand halten wird. Wenn nicht? Kein Problem, das passende Werkzeug haben wir jetzt und eine extra Tube Spezialkleber auch. Nochmal ein riesen Dank an myBoo und Sven für eure schnelle Hilfe und Unterstützung. Und natürlich ein herzliches Dankeschön an Jasur und Shavkat – unglaublich was ihr möglich gemacht habt! Ihr habt mit eurer ersten Einschätzung recht behalten: No Problem!
Am 29. Mai verlassen wir nicht wie kurzzeitig befürchtet im Taxi, sondern auf unseren Bambusrädern sitzend Boyson und fahren Richtung Tadschikistan. Da es Tim nun leider auch noch mit Magendarm erwischt hat, legen wir einen ungeplanten Pausentag in Denau ein. Bei aller Begeisterung die wir für Usbekistan und seine großartigen Menschen entwickelt haben, das Essen hier hat uns im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen.
Nach unserem Pausentag geht es Tim zumindest wieder so gut das wir die Fahrt fortgesetzten können. Die flache Wüstenlandschaft lassen wir hinter uns. Langsam wird es hügelig. Es sind wohl die ersten Ausläufer vom Pamirgebirge. Am Horizont entdecken wir die ersten richtigen Berge. Tadschikistan in Sicht!