Am 27. März passieren wir die iranische Grenze. Auf der armenischen Seite der Grenze muessen wir erstmalig unser gesamtes Gepäck zum Durchleuchten abladen. Anschliessend haben wir Mühe, den „Ausgang“ zu finden – irgendwie sind alle Tore verschlossen und man schickt uns ewig hin und her. Auf der iranischen Seite besteht die Gepäckkontrolle darin, dass ein Grenzbeamter mit einem Finger auf eine von Tims Taschen tippt und mit prüfendem Blick fragt was drin sei. Tim antwortet spontan mit irgendeinem Teil was ihm gerade einfaellt. Dann ist das Gepäck anscheinend ausreichend geprüft. Mein Fahrrad und Gepäck wird gar nicht erst beachtet.
In Iran wird ein anderer Kalender benutzt, so kommen wir genau in den Neujahrsferien an und erleben die Iraner in bester Laune. Überall sitzen Familien zusammen beim Picknick und scheinen ebenso wie wir das tolle Wetter zu genießen. Iran stellt sich als die krasseste Grenze bisher heraus. Alles komplett anders: Religion, Schrift, Temperatur, Vegetation, Autos, die Art wie Menschen auf uns zugehen, ein unmoeglicher Wechselkurs (1:35000) usw. Sehr sehr spannend.
Uns wird fröhlich zugewunken und so bald wir stehen bleiben, werden wir angesprochen:„Welcome to my Country“ oder „Thank you for visiting Iran!“ oder „We love you!“. Etwas muehe bereitet uns das staendige „we are arieans as well!“. Uns wird ständig Hilfe angeboten und oft werden wir nach unserer Bewertung von Iran befragt. Eine unglaubliche Offenheit und Herzlichkeit, die wir seid dem erstem Tag in Iran bewundern.
Schon in kurzer Zeir erleben wir so viel Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, das es schwer fällt, eine Auswahl der Begegnungen zu treffen.
In Jolfa lernen wir eine Familie kennen, bei der wir später für knapp einen Monat beherbergt werden. Azita kommt einfach auf mich zu und bietet mir ihre Hilfe an, für den Fall dass es irgendein Problem geben sollte. So kommen wir ins Gespräch. Wenig später sitzen wir zusammen mit der Familie in einem Auto. Wir haben ihr Angebot, mit ihnen in die Stadt zu fahren und gemeinsam über den Bazar zu schlendern, dankend angenommen. Bevor es Abends wieder zurück zum Hotel geht, werden wir von ihnen noch zum Essen eingeladen. Als wir uns am nächsten Tag verabschieden, bekommen wir die Adresse der Familie. Sie wohnen in der Nähe von Tehran in Karadsch und laden uns ein, sie besuchen zu kommen und unsere Räder in der Zeit zu verwahren in der wir für die Visabeschaffung nachTehran pendeln muessen.
In Marand kommt ein Radfahrer auf uns zu gerollt, macht vor uns eine Vollbremsung und sagt wir sollen sofort mitkommen. Im ersten Moment sind wir doch etwas irritiert. Dann klärt sich schnell alles auf. Akbar ist Mitglied bei Warmshower, hat inzwischen aber sein eigenes Netzwerk in Iran aufgebaut. Akbar hat gute Kontakte zu vielen Lkw-fahrern. Wenn diese auf der Straße nach Marand Reisende sehen, geben sie ihm per Handy sofort bescheid. Akbar fährt dann mit seinem Rad los und fängt die Leute auf der Straße ab. Seinem Radar entkommt niemand. So werden auch wir seine Gäste und werden großzügig zum Essen und zu einer Übernachtung in einem kleinen Guesthouse eingeladen. Am nächsten Morgen werden wir mit einem leckerem Frühstück verabschiedet, bekommen zwei Brote für die Mittagspause mit und erhalten Kontaktdaten von verschiedenen Freunden, die in den Städten wohnen, die wir auf unsere Tour durch Iran passieren. Alle könnten wir zu gegebener Zeit kontaktieren, sie würden uns dann helfen. Großartig! Es scheint hier alles wie von selbst zu laufen.
Über das „Akbarnetzwerk“ bekommen wir Kontakt zu Hamed, der uns in Täbriz willkommen heißt. In Täbriz gibt es einen großartigen kostenlosen Campingplatz. Schöne grüne Wiese, Küche und warme Dusche inklusive. Ein perfekter Ort um einen Ruhetag einzulegen. Diesen genehmigen wir uns am zweiten April, der ein offizieller Feiertag in Iran ist – „Day of Nature“. So gut wie jeder Iraner versucht diesen Tag gemeinsam mit Familie, Freunden und/oder Bekannten irgendwo im Freien zu verbringen. So füllt sich auch „unser“ Campingplatz im Laufe des Tages immer mehr. Tim und ich beobachten das bunte Treiben. Es werden Zelte aufgestellt, Decken ausgebreitet, gepicknickt, Volleyball, Abbacken und Fußball gespielt. Immer wieder kommt der ein oder andere zu uns um uns irgendeine Kleinigkeit von ihrem Picknick abzugeben. Wenn sich erstmal einer traut zu kommen, bildet sich schnell eine große Traube um uns. Ein toller Tag, an dem viel ausgelassen gelacht wird und wir jeden Moment genießen. Am selben Tag lernen wir Terrie kennen. Terrie ist ein lebensfroher franzoesischer Rentner, der sich überlegt hat, die Welt zu Fuß zu entdecken. Statt in Paris langsam alt und gebrechlich zu werden wie er sagt, will er den 2. Teil seines Leben mit dem Entdecken der Welt verbringen. Dies, so sind sich alle Reisenden die wir treffen einig, geht halt nicht indem man all-inclusive von Hotel zu Hotel jettet. Nicht viel wird man so kennenlernen. Dies geht am Besten wenn man bewusst wenig Geld einsetzt und sich bedingungslos Natur und Menschen ausliefert. Wir verstehen mittlerweile nur zu gut wie er es meint. Ihr wollt die Welt entdecken? Hoert auf zu planen und legt los! Terrie hat einen Rucksack mit einem kleinen Zelt, ein paar Klamotten und eine Visakarte mit ein bisschen Geld. Mehr braucht es wirklich nicht. Menschen sind zu 99% unfassbar hilfbereit. No Problem!
Er ist vor zwei Jahren in Frankreich aufgebrochen und hat viele spannende und lustige Geschichten zu erzählen. Besonders gut gefällt uns eins seiner Erlebnisse, die er in Estland gemacht hat. In einem Dorf angekommen wird er gewarnt zu Fuss weiter zu maschieren, schliesslich ist Winter, es liegt Schnee und lange Zeit gibt es kein Dorf zum Essen kaufen. Terrie lehnt dankend ab und maschiert trotzdem los. Nach 20 KM findet er neben der Strasse einen kleinen vom Schnee befreiteten Platz nebst ein paar Scheiten Holz. Er freut sich und nutzt ihn zum Campen und Feuer machen. An den folgenden Tag erlebt er genau das gleiche wieder. Nach einigen Tagen haelt ein Gelaendewagen und zwei Esten steigen aus und freuen sich, das Terrie noch lebt und fragen ihn, ob er jeweils die Plaetze, die sie fuer ihn gebaut haben, gefunden habe. Terrie, der schon angefangen zu glauben es gehe nicht mit rechten Dingen zu, bedankt sich uebergluecklich bei seinen ‚Engeln‘ und zieht weiter. Es sind immer wieder diese Art von Geschichten, die Reisende zu erzaehlen haben.
Die Straße, die aus Täbriz hinaus führt, ist viel befahren und nicht besonders aufregend. Wir denken an Terrie, der wahrscheinlich einen ganzen Tag benötigt um dem Gewusel der Stadt zu entfliehen. Wir freuen uns das wir dieses mit unseren Rädern deutlich schneller hinter uns lassen können.
Die Sorge, am Abend keinen geeigneten Platz für die Nacht zu finden, war bei uns zwar nie wirklich ausgeprägt ist aber in Iran in noch viel weitere Ferne gerückt. Sicher fühlen wir uns überall. Einmal werden wir Nachts von einem besorgten Schaefer geweckt der zwar kein Englisch, dafuer aber treffend Wolfsgeheul imitieren kann. Tim versucht ihm zu vermitteln das Woelfe ’no problem‘ sind – aber der Schaefer ist nicht zu beruhigen. Wir sollen mit in sein Haus kommen. Wir rufen Hamed zum Uebersetzen an und er erklaert uns das dort Nachts Woelfe unterwegs sind und sich gern mal kleine Schaefchen holen. Tim sagt, dass Woelfe wenn dann nur im aeussersten Notfaell Menschen angehen und wenn dann eigentlich nur Kinder oder kleine Frauen (na toll!) aber dass aufgrund des Fruehlings wirklich keine Gefahr besteht. Nach langem hin und her zieht der Schaefer unzufrieden wieder ab. Kommt aber nach 5 Minuten wieder und verpflichtet Tim, seine Handynummer zu notieren. Anschliessend schlafen wir tief und fest bis zum Sonnenaufgang. Ob da nun Woelfe waren oder nicht ist uns entgangen.
Besonders genießen wir die warmen Abende und morgens aus dem Zelt zu kommen ohne direkt in warme Klamotten schlüpfen zu muessen und sich trotzdem beim Zeltabbau die Finger ab zu frieren. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Es gibt nichts schöneres als am Morgen festzustellen dass das Zelt trocken ist um dann im Sonnenschein ein leckeres Rührei zu brutzeln. Um nichts in der Welt wollen wir dann mit einem Buffet-Fruehstueck in einem 5-Sterne Hotel tauschen.
So richtig oft kommen wir allerdings nicht zum Zelten. Immer wieder werden wir spontan eingeladen und fuerstlich behandelt. Mr. Jafar nimmt uns zwei Tage in Zanjan auf und wird wie ein Bruder für uns. Reza beherbergt uns in Eshtehard und unternimmt mit uns am Abend noch eine kleine Sightseeingtour durch die Stadt. Die Jungs vom „Red Cresent“ (Roter Halbmond, gehört mit zum Rotem Kreuz) mit denen Tim erstmal ne Runde Volleyball und PlayStation spielt, geben uns eine Unterkunft in ihrer Rettungswache. Seid Tagen haben wir hier endlich mal wieder die Möglichkeit eine Dusche zu geniessen, was nach ein paar Nächten im Zelt und Fahrradfahren bei 28°C in langer Hose und Kopftuch wirklich unglaublich schön ist. Abends wird für uns am Lagerfeuer leckerer Kebab gezaubert. Das Zusammensein in dieser fröhlichen Runde läßt einen schnell die Zeit vergessen und so wird es richtig spaet.
In Shiraz verbringen wir drei Tage mit Karim, der uns mit seiner fröhlichen Art und viel Humor oft zum Lachen bringt. Karim fährt uns hunderte von Kilometern in seinem Auto herum, damit wir möglichst viel von seiner Heimat entdecken können. In Karadsch, kurz vor Teheran werden wir von Saeed und seiner Familie aufgenommen. Inzwischen besetzten wir schon fast einen ganzen Monat unser Gästezimmer in Karadsch und werden immer noch reichlich mit Frühstück, Lunch und Dinner versorgt. Auch hier erfahren wir wieder unfassbare Unterstützung in jeder Hinsicht. Dank Saeeds (unser Gastgeber in Karasch bei Tehran) Hilfe koennen alle Dinge sehr einfach geplant werden. Wir hoffen, die Familie im naechsten Jahr in Hamburg als Gaeste empfangen zu duerfen.
Meine stichpunktartige Beschreibung wird dem, was wir hier erleben in keiner Hinsicht gerecht. Wir sind von der iranischen Gastfreundschaft tief beeindruckt und manchmal auch beschämt, bzw. teilweise ist es fast zu viel um es annehmen zu können und doch wird man geradezu dazu genötigt. Wir sind unsagbar dankbar für die vielen lieben Menschen die uns so reich beschenkt haben. Zurück in Deutschland hoffen wir sehr auf Möglichkeiten, diese Gastfreundschaft weiter geben zu können. Vielleicht ist auch gerade dies die beste Art seine Dankbarkeit zu zeigen.
Teheran
Länger als erwartet ist unser Aufenthalt in Teheran. Am Ende wird es wohl auf gut einen Monat hinauslaufen, den wir aber zum Glück nicht direkt in Teheran sondern in Karadsch verbringen. Die Visabeschaffung, der Lärm der Stadt, die völlig überfüllte Metro, durch die sich dann auch noch im Minutentakt Verkäufer drängeln, die versuchen, Schuhsohlen, Zauberstifte und ähnlich obstrusen Kram an den Mann zu bringen und dabei sogar noch erfolgreich sind und der absolut chaotische Verkehr rauben uns den letzten Nerv. Im Grossraum Tehran leben 15 Millionen Menschen die scheinbar alle gleichzeitig den ganzen Tag Metro fahren muessen. Schrecklich schrecklich schrecklich! In dieser Stadt kommt man einfach nicht vorwärts. Unsere Anreise von Karadsch nach Teheran oder zurück dauert jedes mal knapp 3 Stunden. Zu den Rushhour Zeiten, wo die Metro nicht nur überfüllt ist sondern geradezu aus allen Nähten platzt, nehme ich im Frauenwagon platz, in dem man meist etwas mehr Raum zum Atmen hat. Der arme Tim steht auf der anderen Seite der Absperrung, eingequetscht wie eine Ölsardine in der Dose. Wenn man sich dann noch beim Aussteigen durch eine Herde von Menschen kämpfen muss, die sich irgendwie mit aller Gewalt in den Wagon quetschen bevor auch nur einer aussteigen kann, ist es sehr schwer Tim davon abzuhalten, alles zu Klump zu hauen. Versoehnt wird man dann wieder wenn man beobachtet, wie ein frei werdender Platz sehr nett zunaechst allen Aelteren oder Auslaendern angeboten wird – ein Verhalten was ich in Deutschland noch nie beobachtet habe. Bitte nachmachen!
Leider werde ich das erste Mal krank. Nachdem der Versuch, das ganze auszusitzen fehl geschlagen ist, gehe ich also doch noch zum Arzt. Die Behandlung ist kostenlos für mich (der Arzt freut sich so, weil sein Bruder in Deutschland lebt), ich muss lediglich 3€ für die Antibiotika bezahlen. Ein kleiner Lichtblick in unserer Teheranpsychose. Tiefpunkt hingegen ist es wenn man krank, stundenlang zu einem zuvor vereinbarten Termin zur Tajikistan Botschaft fährt um sein Visum abzuholen und dann mit den Worten „der Herr Konsul sei zu beschäftigt, bitte kommen sie morgen wieder“,weggeschickt wird. Inzwischen haben wir uns aber durchgeschlagen und besitzten Visum für Uzbekistan, Tajikistan und China. Das Visum für Turkmenistan müssen wir nur noch in Mashad abholen.
Von dem kuenstlich langsamen, aufgrund von Sperren kaum zu gebrauchendem Internet fang ich erst gar nicht an zu berichten. Tim erleidet deswegen täglich mehrere Wutausbrüche.
Unser Besuch in Shiraz, bei dem uns Binh und Alessio begleiten, ist eine willkommene Abwechslung von all der Organisationsarbeit. Gespannt tauschen wir unsere Erlebnisse der letzten Wochen aus. Binh und Alessio haben in Armenien einen kleinen, sehr abenteuerlichen Abstecher über Bergkarabach gemacht. Alessio Bezeichnung fuer Karabach ist „fucking country“. Die Menschen dort scheinen ziemlich merkwuerdig zu sein. Besonders die Polizei hat die beiden extrem genervt. Zum Glück kann man im nach hinein meist über die durchgemachten Strapazen Lachen, so auch bei ihren Erzählung.
Aus verschieden Gründen mußten wir unsere Pläne etwas ändern und anpassen. Innerhalb von drei Monaten müssen wir in China einreisen, das bedeutet für uns, das die Zeit ab jetzt läuft. Auch zwingen uns die Ein- und Ausreisedaten der anderen Visa dazu, einen gewissen Zeitplan einzuhalten. Da wir weiterhin am meisten daran interessiert sind „Land und Leute“ kennen zulernen und dies nur schwer möglich ist wenn man von morgens bis abends in die Pedale tritt um ja die X Kilometer zu schaffen muessen wir etwas Strecke ueberspringen. So werden wir von Karadsch nach Mashad einen Bus benutzen. Es ist ein komisches Gefühl, dass das Radfahren in Iran für uns damit schon fast beendet ist.
Mit Binh und Alessio geht es, bevor sich unsre Wege dann wohl für länger trennen, drei Tage in die Natur. Wir genießen es, endlich mal wieder allein unterwegs zu sein, das Zelt auf zuschlagen und auf einem Lagerfeuer zu kochen. Der Gesprächsstoff geht nie aus.
Unsere Abreise in Karadsch steht jetzt kurz bevor. Ich trau mich das kaum zu schreiben, auf unseren Sätteln ist inzwischen tatsächlich eine dicke Staubschicht. Es wird wirklich Zeit das es weiter geht. Außerdem wird Tims Bart immer eindrücklicher. Bisher nehmen es alle mit Humor und nennen ihn „Blond Mullah“ oder “ Mr. bin Laden“. Auch ist es vorgekommen, das wild fremde Menschen auf der Straße Tim auf arabisch ansprechen und dann in seinen Bart grabschen. Aber wer weiß, vielleicht kippt die Stimmung dies bezüglich noch. So wie bei mir, als ich während einer Busfahrt bemerkte das aus Tims Bart eine Ameise gekrabbelt kam. Da hört der Spaß auf. Also lieber schnell weiter! Alé!